Wie sind Sie zum Dirigieren gekommen?
Mein erster Klavierlehrer, der Exilwiener Walter Wasservogel, erkannte in mir – obwohl ich erst 12 Jahre alt war – einen zukünftigen Dirigenten, da ich ein universelles Interesse an den Zusammenhängen in der Musik zeigte. 1972 fragte ich schließlich Hans Swarowsky, ob ich bei ihm Dirigieren studieren dürfe, und er fragte mich, warum ich dies als aufstrebender Geiger wolle. Ich habe erwidert, dass ich Fragen über Musik habe, die mir bislang nicht beantwortet wurden, so unter anderem, wie man die Qualität von Musik beurteilen könne, wie man gute von schlechter Musik unterscheiden könne. Meine Antwort schien ihm zu gefallen, denn er hat mich als Schüler angenommen.
Ich habe ein komplettes Kapellmeisterstudium absolviert und wurde auch von Swarowsky stets ermutigt, dennoch hatte ich damals nicht vor, die Laufbahn eines Dirigenten einzuschlagen. Zu sehr war ich damals davon überzeugt, dass das Dirigieren keine unmittelbare musikalische Tätigkeit, sondern eher eine vermittelnde war. Ich wollte selbst Musik machen, und nicht andere Musik »machen lassen«. Ein Übriges zu dieser Entscheidung hat sicherlich der Tod Swarowskys im Jahr 1975 beigetragen.
Später wurde mir klar, dass ich meine eigenen Werke selbst dirigieren musste, und als ich 1987 gemeinsam mit Freunden das Ensemble Wiener Collage gründete, das sich der Neuen Musik und der Klassischen Moderne widmete, habe ich die Notwendigkeit akzeptiert, mich auch als Dirigent betätigen zu müssen. Seither ist die Dirigier-Tätigkeit immer wichtiger geworden, da sie auch eine rasche Umsetzung vieler mir wichtig erscheinender Projekte verspricht.
Als Komponist dirigieren Sie auch eigene Werke. Worin besteht für Sie der Unterschied zum Dirigat der Werke anderer? Sind Sie strenger oder flexibler, was die Ausführung / Interpretation des Notentextes betrifft?
Während man bei den Proben mit eigenen Werken die Qualität der eigenen Komposition prüft, erarbeitet man bei den Werken anderer Komponisten erst eine Vorstellung, eine Interpretation. In diesem Sinn interpretiert man sein eigenes Werk zumindest anfangs nicht, weil es bereits in einem ist.
Haben Sie während der Erarbeitung eines eigenen Werkes mit Musikern schon mal etwas an einem Stück geändert? Wodurch wurden diese Eingriffe motiviert?
Hörerfahrungen können zur Verbesserung einzelner Details (z.B. Einfügen von Artikulationszeichen oder Verfeinerungen der Dynamik) bis zur vollständigen Neukomposition einzelner Teile führen. Änderungen an meinen Werken habe ich immer dann vorgenommen, wenn ich instinktiv nach besseren Lösungen für ein kompositorisches Problem gesucht habe, egal ob ich mein Stück selbst oder jemand anderes es dirigiert hat. Selbst zu dirigieren, kann diese Prozesse beschleunigen, löst aber nicht immer Änderungen im Notentext der eigenen Partitur aus.
Was unterscheidet einen dirigierenden Komponisten von seinen »nur« dirigierenden Kollegen?
Zunächst geht es jedem Komponisten um sein eigenes Werk. Es geht ihm um die Weiterentwicklung seiner Ideen, aber auch darum, sein eigenes Werk zu erproben und zu präsentieren. Für die Weiterentwicklung der Ideen ist der analytische Blick auf Meisterwerke der Vergangenheit unerlässlich. Die Analyse teilt er mit dem Dirigenten, der sie als Grundlage für seine Interpretation benötigt. Deshalb ist es naheliegend, dass ein Komponist auch als Dirigent tätig wird.
Außerdem wird jeder Komponist mit der Tatsache konfrontiert, dass es schwierig ist, adäquate Interpreten für seine Werke zu finden. Das bringt manche Komponisten dazu, die eigenen Werke zu dirigieren, und von diesem Standpunkt ausgehend dann auch andere Musik aufzuführen. Eigene Intentionen können jedoch zuweilen die unvoreingenommene Sicht auf Werke von Zeitgenossen verstellen.
Kann nicht der beständige professionelle Blick auf fremde Werke das eigene Schaffen auch behindern?
Kaum ein Komponist hat sich so sehr mit Musik anderer Komponisten beschäftigt wie Gustav Mahler. Trotzdem hat er einen ganz persönlichen Stil geschaffen, ganz eigene Musik geschrieben. Das einzige Hemmnis war der Zeitfaktor, der zu vielen Unterbrechungen im Schaffen führte. Mahler hatte nur drei vollkommen freie Sommermonate fürs Komponieren, in denen er seine Werke skizzierte, im Rest des Jahres arbeitete er nebenher an der Herstellung der Partitur.
Auch meine Komponierzeit ist beschränkt und eigentlich noch knapper bemessen. Dadurch und durch ständige Unterbrechungen weisen meine Werke lange Entstehungszeiten auf, vieles kann ich nur als »work in progress« anlegen, das ich als vorläufig abgeschlossen zur Aufführung freigebe und dann laufend ergänze.
Auf Workshops und Internationalen Kursen dirigieren Sie auch Jugendorchester. Ist die Arbeit hier grundsätzlich anders, »pädagogischer« als beispielsweise mit Ihrem eigenen Ensemble Wiener Collage?
Die Arbeit des Dirigenten ist immer ein Akt der Vermittlung interessanter und meisterhaft komponierter Musik. Bei noch nicht fertig ausgebildeten Instrumentalisten und Vokalisten kommt unter Umständen noch eine spieltechnische Beratung dazu, auch das Zusammenspiel im Orchester muss erlernt werden: wie man richtig aufeinander eingeht und gemeinsam musiziert.
Jahrhundertelang sind Orchester und Ensembles vom Cembalo oder vom ersten Pult aus geleitet worden, erst die anwachsende Größe der Orchester machte einen Dirigenten, wie wir ihn heute kennen, dringend erforderlich. Worin besteht – Ihrer Ansicht nach – die primäre Funktion eines Dirigenten, abgesehen vom »Taktgeber«?
Nicht nur die anwachsende Größe der Orchester, auch die zunehmende Komplexität der Partituren machte den Dirigenten notwendig: er muss das Ensemble zusammenhalten, ihm das gemeinsame Tempo und ein rhythmisches Rückgrat geben und mit seinem Ohr Intonation und Balance kontrollieren. Seine Stilkenntnis, seine Erfahrung, sein Gefühl für musikalische Zusammenhänge gestalten eine Aufführung. Diese Funktionen bleiben für jedes Stück prinzipiell gleich. Der Dirigent sollte jedes Werk, dessen er sich annimmt, vermitteln können. Ein hohes Maß an musikalischer Bildung ist daher notwendig, Werke verschiedenen Stils zu gestalten. Daher beginnen heutzutage viele Dirigenten mit einem speziell umrissenen Bereich des Orchesterrepertoires, bei mir waren das die Neue Musik und die Klassische Moderne.
In der Moderne hat sich das Kammerensemble als neue Form eines kleinen Orchesters herausgebildet. Könnten solche Ensembles nicht auch ohne Dirigenten auskommen? Wozu sind diese Ensembles wichtig?
Das Kammerensemble hat sich auch aufgrund ökonomischer Zwänge in der Zeit des 1. Weltkriegs als Orchesterersatz herausgebildet. Heute ist es eine höchst interessante Variante zwischen Orchester und Kammermusik. Viele Klangfarben und große Exaktheit im Zusammenspiel zeichnet diese Ensemblevariante aus. Selbstverständlich können verschiedene Werke auch ohne Dirigenten gespielt werden. Dadurch multipliziert sich allerdings die Probenarbeit. Daher ist es oft ökonomischer, einen relativ teuren Dirigenten zu engagieren, als die doppelte Probenanzahl (oder mehr) zu finanzieren.
In der allgemeinen Wahrnehmung gelten gute Dirigenten als »Magier«, als »Dompteure«. Was macht Ihrer Ansicht nach einen guten Dirigenten aus?
Die Konzentration auf die Vermittlung möglichst guter Musik an ambitionierte und aktive Orchestermusiker.
Glauben Sie, dass die Erwartungen unserer heutigen multimedialen und oberflächlichen Welt auch »Dirigentendarsteller« hervorbringt? Wieviel Show muss und darf sein?
Alles, was dazu dient, ein Werk besser darzustellen, also vor allem auch die Gestik, hilft und ist auch notwendig. Alles, was nur zur Selbstdarstellung des Dirigenten dient, ist als show für die Aufführung eher hinderlich.
Welchen Einfluss auf ihre Tätigkeit als Dirigent hat die Tatsache, dass Sie als Orchestermusiker selbst sehr viel unter anderen Dirigenten arbeiten?
Man findet dabei heraus, was man als Orchestermusiker wirklich von einem Dirigenten braucht, um gut spielen zu können. Man lernt das Standardrepertoire kennen, lernt, worauf bedeutende Dirigenten achten, wie sie mit einem Orchester umgehen.
Gibt es Dinge, die Sie aufgrund dieser Erfahrung als Dirigent selbst niemals machen würden?
Ich denke, dass es sich sehr schädlich auswirkt, wenn man Werke, Komponisten oder Musikerkollegen vor dem Orchester abwertet, auch wenn man sie vielleicht wirklich nicht schätzt. Denn damit nimmt man den Orchestermusikern nicht nur die Möglichkeit, sich ihr eigenes Bild zu machen. Sie verlieren auch den Respekt vor der Probe und letztlich doch auch vor der Musik, die man wiedergeben soll, und darunter leidet jedes Bemühen um eine einigermaßen zufriedenstellende Arbeit. Der Musiker fragt sich, warum er sich überhaupt anstrengen soll, wenn der Dirigent selbst die Qualität der gemeinsamen Arbeit (und dazu gehört auch die Qualität der Komposition) anzweifelt.
Haben Sie Vorbilder?
Als Student hatte ich Idole, das hat sich jedoch aufgrund der grundsätzlichen analytischen Herangehensweise bereits im Studium bei Swarowsky relativiert, und einer eher funktionalen Sicht auf das Dirigieren Platz gemacht. Dennoch gibt es einige Dirigenten, die ich aufgrund ihres Könnens und ihrer Erfahrung sehr schätze.
Sie dirigieren viele Uraufführungen. Wie bereiten Sie sich auf eine neue Partitur vor? Haben Sie bei der ersten Probe eines neuen, sehr komplexen Werkes schon Überraschungen erlebt?
Die Kriterien des Studiums einer noch nie gespielten Partitur gehen vom Großen ins Kleine. Nachdem man sich über Art und Stil der Partitur informiert hat, geht es zunächst darum, den Ablauf durch eine Einteilung in verschiedene Abschnitte zu überblicken. Danach kann man dann die Wichtigkeit und Gewichtung einzelner Strukturen, Themen, Motive und Zellen untersuchen, um schließlich musikalische Details wie Artikulation, Phrasierung, Klangfarbe (Instrumentierung) zu bemerken. Die meisten neuen Partituren, darunter auch recht kompliziert aussehende, sind einfacher, als dies allgemein angenommen wird, und mit zunehmender Erfahrung kann man sich sehr rasch einen ersten Überblick über die Partitur verschaffen.
Partituren, die dann bei der ersten Probe gar nicht mehr überraschen, hoffe ich, nicht dirigieren zu müssen.