pour clarinette en si bémol, violon et piano
Besetzung: für B-Klarinette, Violine und Klavier
Entstehung: April-Mai 1984 in Genf und zwischen Februar und Mai 2022 in Wien
Aufführungsdauer: ca. 9'30''
I | Petit Prelude | Genf, 30. April 1985 | 1' |
II | Presque Canon | fertiggestellt Wien, 15. Februar 2022 | 3'20'' |
III | Danses Suisses | Wien, 15. Mai 2022 | 3'45'' |
IV | Finale | Wien, 17. Mai 2022 | 0'45'' |
Nach der Fertigstellung des Deuxieme Divertissement Suisse im Jahr 1984 begann ich mit der Arbeit an den nachfolgenden Divertissements. Meine Übersiedlung nach Wien im Jahr 1986 sollte ihre Fertigstellung jedoch vereiteln. Im Fall des 4. Divertissements gab es nur das Prelude in einer ersten vorläufigen Partituraussetzung und ein nur wenige Takte umfassendes Fragment des 2. Satzes – jedoch genug, um die Idee dieses Satzes nach 37 Jahren noch mühelos rekonstruieren und realisieren zu können.
Im ersten Satz wird die bereits in den vorhergehenden beiden Divertissements auftretende Verbindung von Ganz- und Halbtonschritten zu tonleiterartigen Gebilden erweitert. Jede dieser Leitern weist eine eigene Kombinatorik von kleinen und großen Sekunden auf und wird kontrapunktisch zwischen den drei Stimmen verwoben.
Im zweiten Satz – wie der Titel schon sagt, ist er »fast« ein Kanon – wechseln sich zwei musikalische Motive ab: ein punktiertes Motiv und eine sich in »glatten« Achtelnoten bewegende eng geführte Struktur. Eigentlich handelt es sich dabei um zwei zweistimmige Kanons, die nach einem homophonen vierstimmigen Satz streben, der aber erst in den beiden letzten Sätzen greifbar wird. Die Funktion dieser beiden Kanons war bereits im Fragment aus dem Jahr 1985 erkennbar, das dann 2022 fertiggestellt wurde.
Als Ergänzung komponierte ich zwischen März und Mai 2022 zwei neue, ineinander übergehende Sätze: Der dritte Satz wurde nicht nur als kleine nostalgische Erinnerungsnotiz an meine »Schweizer Jahre« (1981–1986) konzipiert, sondern schließt auch insofern an das 1. und 2. Divertissement an, als ich meiner fixen Idee, die Örtlichkeit des Genfer Sees musikalisch mit der Präsenz Igor Strawinskijs zu verbinden, erneut frönen konnte, indem ich in einem Potpourri vier unterschiedlichen »Danses Suisses« Gestalt gab. Strawinskijs (von Tschaikovskij imprägniertes) Ballet Le Baiser de la Fée und die daraus hervorgegangene Orchestersuite »Divertimento« beinhalten einen mit »Danse Suisses« betitelten Teil, dessen Hauptmotiv Tschaikovskijs Humoreske op. 10 Nr. 2 entlehnt wurde. Dasselbe Motiv, aber auch eine Tschaikovkij eigene harmonische Abkadenzierung werden im 3. Satz meines Divertissements in eine neue progressive harmonische Umdeutung gegossen, auch als Huldigung an jenes Phänomen, das Strawinskij erlaubte, insbesondere in seiner »klassizistischen« Periode immer wieder Metamorphosen verschiedener historischer Stilelemente in seinem Werk zu verwenden – ja ganze Werke darauf aufzubauen –, und der es dabei fertigbrachte, durch seine eigene musikalische Architektur einen ganz eigenen Stil zu erfinden.
Dies zur äußeren Gestalt des dritten Satzes, die Harmonik wird durch die stete Umdeutung kleiner und großer Intervalle bestimmt. Das heißt, in diesem Satz werden die Prozesse der Umpolung von kleiner und großer Sekunde, die die Arbeit an allen meinen Divertissements prädeterminieren, auf alle Intervalle (vor allem Terzen und Sexten) erweitert.
Der daraus hervorgehende letzte Satz geht von kontrapunktisch ineinander verwobenen Trillern aus und erweitert das Spektrum (quasi reprisenhaft angelehnt an den ersten Satz) zu leiterartigen Strukturen, die hier aber nur drei bis vier Töne umfassen. Im dritten Abschnitt spielt der Satz mit Tonwiederholungen, die dann durch kollektiv durchgeführte weite Sprünge ersetzt werden.