Libretto: Amy Leverenz

Miniature Version op. 37a

Five Scenes, Preludes and Four Interludes from the Life of Al Capone

Besetzung: für 2 Sänger, 2 Erzählstimmen und 7 Instrumente (Klarinette, Saxophon, Violine, Klavier, Akkordeon (Bandoneon), Kontrabass (Solostimmung) und Schlagzeug)
Uraufführung: 13. November 1999, Wien WUK in der Hommage »Da Capo al Capone« durch das Ensemble Wiener Collage, Gunda König, Amy Leverenz und Vince Pirillo
Aufführungsdauer: ca. 25 Minuten

 

René Staar über die Arbeit an seinem Kammerspiel: Die Entstehungsgeschichte der meisten meiner Werke mag für den Betrachter verwirrend wirken. Da ich stets an mehreren Projekten gleichzeitig arbeite und sich durch meine zahlreichen anderen Tätigkeiten oft große Unterbrechungen bei der Konzeption und Komposition von Werken ergeben, haben es nur sehr wenige meiner Werke bis zu einer für mich befriedigenden Fertigstellung gebracht. Oft besteht ein Werk (nur) aus einer Unzahl von Provisorien, Plänen, Skizzen, Harmoniestudien, rhythmischen Diagrammen und Particell-Seiten, die den Schaffensprozess umgeben.

Im Falle der Miniaturoper The Fortunes of War verhält es sich so, dass diesem zweiten Versuch, ein Werk für die Bühne zu schreiben (der erste war die Minotaurus-Studie op. 23a für eine(n) Tänzer/Tänzerin und Violine) viele – ich denke, es müssen über zwanzig gewesen sein! – Bühnenprojekte vorausgingen. Die Ohnmacht des Individuums in einer politisch und gesellschaftlich determinierten Welt interessierte mich dabei besonders.

Als mich nach vielen Gesprächen mit Dieter Kaufmann und mit Amy Leverenz – der späteren Librettistin dieses Kammerspiels – die Figur des Al Capone fixierte, wurde die Idee eines vielschichtigen Operneinakters geboren. Nachdem die Realisation 1997 – zur 50. Wiederkehr des Todestages Capones – nicht finanziert werden konnte, musste das Projekt zunächst »auf Eis« gelegt werden. Als eine realistische Möglichkeit der Aufführung (mit allerdings sehr knappen finanziellen Möglichkeiten) für 1999 wieder auftauchte, fasste ich den Entschluss zur radikalen Reduktion: Ich wählte lediglich fünf Szenen aus, die mir charakteristisch für die zwei Gesichter Capones erschienen: Der gute Familienvater, der harmlose, freundliche Opernliebhaber, der seiner Mutter und anderen gerne seine selbstgekochten Spaghetti anbietet, kontrastiert mit dem eiskalten Beherrscher der Unterwelt von Chicago. Die verschiedenen Facetten ein und derselben Person: das war es, was mich bereits viel früher an dem Projekt interessiert hatte.

Nachdem Dieter Kaufmann mir von seiner Absicht erzählt hatte, eine Art Collage aus allen vier für das Projekt geschriebenen Stücken herauszuarbeiten, wurde mir klar, dass ich ihm Material an die Hand geben musste, das durch eine Art Baukastensystem verschiedene Möglichkeiten für ihn offen ließ. Mit anderen Worten: ich schrieb ein in fünf Nummern unterteiltes Stück, dem ich ein Prelude und vier Interludien beigesellte, die ad libitum vom Regisseur verwendet oder nicht verwendet werden konnten. Allerdings bedeutete das für mich von vornherein, dass die Fertigstellung dieser Teile kaum das Ende meiner kompositorischen Arbeit an diesem Thema sein würde, zumal neben der extremen Verknappung der Aussage über diese spannende Figur des 20. Jahrhunderts auch die eingeschränkten Instrumentationsmöglichkeiten (2 Sänger, 2 Sprecher, 7 Instrumentalisten) letzten Endes hemmend wirken würden. So möchte ich denn die vorliegende Partitur als »Miniaturfassung« eines noch zu schreibenden Kammerspiels über Al Capone bezeichnen.

Die Gegebenheiten brachten es mit sich, dass jede Szene ihre eigene harmonikale und Ereigniskomponente erhalten sollte. So lebt »What a life« insbesondere durch die Spaltung der Bewusstseinsebene eines volltrunkenen Mannes – eben Al’s. Seine irrealen Bewegungen werden von der Musik auch provoziert, die bereits komplexe Rhythmen weiter synkopiert.

»Times have changed« besitzt zwei Ebenen: die Ebene Al’s, der unbewusst Druck auf seine Leute ausübt, und die der stummen Nebenhandlung der neugierigen Jazzmusiker, die sich auf die Musikkonserve, die Schallplatte, stürzen, um die neuesten Entwicklungen des Tangos aufgreifen zu können.

Zwischen »Times have changed« und dem abschließenden »Service is my motto« existiert eine formale Verwandtschaft, obzwar die Gestaltung grundverschieden verläuft. Auch hier gibt es eine Spaltung in zwei Ebenen, die jedoch beide in Al’s Innerem ablaufen und somit mehr introvertiert erscheinen.

»Che bravo ragazzo« wieder läuft ab, als ob man während eines starken Erdbebens von einer zur anderen Erdscholle springen müsste, die sich in stets anderen Tempi bewegen. Lug und Trug stehen in diesem Stück neben dem platten Versuch, diese Lügen zu verbergen. Der nichtsahnenden Mutter gaukelt Al eine heile Welt vor. Die dem Stück zugrundeliegende Temporelationstechnik macht Capones gespaltenes Ego sichtbar.

»Valentine’s Day Editorial« wiederum stilisiert das Geräuschspektrum des den Reporter umgebenden Straßengewühls aufgeregter und neugieriger Menschen. Das Prelude und die Interludes bereiten den Zuhörer auf das jeweils nächste Stück vor. Außerdem steht am Beginn jeder Szene ein kurzer Einleitungsteil, um den Zuhörer in die jeweilige tonale Ebene der Szene einzuführen.