I Die Lotosblume ängstigt sich
Besetzung: für Sopran und Kammerorchester (Flöte, Horn, Trompete, Harfe, Klavier, Akkordeon, 1 Schlagzeug (Claves, Triangel, Crotales, großes Trommel), Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass)
Aufführungsdauer: ca. 5 Minuten
Uraufführung: 20. September 1997 im ORF Sendesaal (Jubiläumskonzert 10 Jahre Ensemble Wiener Collage) durch Marie Landreth und das EWC unter René Staar
Notenmaterial: ECA Nr. 6033
II Lotosblume
Besetzung: für Bariton und Kammerorchester (Flöte, Klarinette, Horn, Trompete, Harfe, Klavier, Akkordeon, 1 Schlagzeuger (Crotales), 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass)
Aufführungsdauer: ca. 5 Minuten
Uraufführung: 20. September 1997 im ORF Sendesaal (Jubiläumskonzert 10 Jahre Ensemble Wiener Collage) durch Michael Ingham und das EWC unter René Staar
Notenmaterial: ECA Nr. 78002
Erhältlich über:
Edition Contemp Art (Verlagsgruppe Hermann)
Goldschmiedgasse 10, 1010 Wien
email: sales{at}hermann.eu | Tel: +43 / 1 / 534 62 40 | Fax: +43 / 1 / 534 62 67
Notizen zum Werk:
Das Ensemble Wiener Collage hatte für 1997 ein größeres Heine-Projekt mit Beiträgen von sechs verschiedenen Komponisten geplant. Als sich dieses nicht realisieren ließ, wurden die Heine-Fragmente von René Staar als einziges Werk in das Jubiläumskonzert des Ensembles integriert.
Die beiden hier verwendeten Gedichte Heines sind »Die Lotosblume« (jenes berühmte Liebesgedicht aus dem Lyrischen Intermezzo, das den Musikkennern durch die Schumann’sche Vertonung geläufig ist) und das späte Gedicht »Lotosblume«, in dem sich Heine Jahrzehnte danach, sterbenskrank und ans Bett gefesselt, von seiner letzten Liebe »Mouche« betreut, ironisch auf die berühmte romantische Eigendichtung bezieht.
Die Heine-Fragmente erwiesen sich für den Komponisten als ein vieldeutiges Experiment. Nicht als Nachkomposition Schumanns gedacht, auch nicht als kritische Aufarbeitung eines romantisch-romantisierenden Idioms, wirkt diese Neu-Vertonung wie eine surreale Skizze. Das Stück fällt zunächst durch seine irisierenden harmonischen Strukturen auf, womit der Komponist etwas ganz anderes als Schumann ausdrücken wollte. Nicht nur ein in poetische Sprache ausgedrücktes Gefühl wird hier wichtig, sondern der Klang der Sprache an sich und die tiefe Symbolik, die hinter den Worten steht. Sonne und Mond sind der Sehnsucht gleichgestellt, die sich in der letzten, exaltierten Strophe des ersten Gedichts offen manifestiert und auf die das zweite Gedicht ironisch Bezug darauf nimmt.
Das zweite Lied kontrastiert in seiner Haltung zum ersten vor allem durch den Galgenhumor, der hier zutage tritt. Die naive Liebessehnsucht des ersten wird durch das Bewusstsein um Krankheit und nahendem Tod auf eine andere Ebene verrückt.
Nicht eine Grundstimmung war hier für die Komposition ausschlaggebend, sondern die Durchdringung verschiedener Bewusstseinsebenen, wie sie für die Sehnsucht charakteristisch ist. Im Verhältnis zu den früheren Else Lasker-Schüler-Liedern ist hier die Tonsprache Staars viel abstrakter, radikaler geworden. Die Gesangslinien sind dem harmonikalen Ablauf stets unterworfen, deren Linie in das Gesamtspektrum der Komposition eingebettet erscheint.
Die Instrumentation spiegelt den ebenfalls den Kontrast zwischen beiden Gesängen wieder und ist der Entwicklung des Ensemble Wiener Collage entsprechend durchsetzt von eigenwilligen Klangfarben, die ein nicht durchwegs gebräuchliches Instrumentarium provoziert.
Der Komponist hat hier erstmals die seinem Werk innewohnenden Harmonieverbindungen mit einem neuen, gemeinsam mit Gottfried Hinker entwickelten Computerprogramm generieren lassen, was zu neuen kompositorischen Erkenntnissen führte, die in die Lieder miteinbezogen wurden.
Liedtexte
Aus der Sammlung »Tragödien, nebst einem lyrischen Intermezzo« (1823)
Die Lotosblume ängstigt
Sich vor der Sonne Pracht,
Und mit gesenktem Haupte
Erwartet sie träumend die Nacht.
Der Mond, der ist ihr Buhle,
Er weckt sie mit seinem Licht,
Und ihm entschleiert sie freundlich
Ihr frommes Blumengesicht.
Sie blüht und glüht und leuchtet,
Und starret stumm in die Höh;
Sie duftet und weinet und zittert
Vor Liebe und Liebesweh.
(Für die Mouche) (1851-1855)
Lotosblume
Wahrhaftig, wir beiden bilden
Ein kurioses Paar,
Die Liebste ist schwach auf den Beinen,
Der Liebhaber lahm sogar.
Sie ist ein leidendes Kätzchen,
und er ist krank wie ein Hund,
Ich glaube, im Kopfe sind beide
Nicht sonderlich gesund.
Vertraut sind ihre Seelen,
Doch jedem von beiden bleibt fremd
Was bei dem andern befindlich
Wohl zwischen Seel und Hemd.
Sie sei eine Lotosblume,
Bildet die Liebste sich ein;
Doch er, der blasse Geselle,
Vermeint der Mond zu sein.
Die Lotosblume erschließet
Ihr Kelchlein im Mondenlicht,
Doch statt des befruchtenden Lebens
Empfängt sie nur ein Gedicht.