pour piano à quatre mains
»Harald Ossberger und Christos Maranthos in tiefer Freundschaft zugeeignet«
Besetzung: für Klavier zu vier Händen
Aufführungsdauer: 15' 40''
Uraufführung: am 29. November 2017 durch das Klavierduo Christos Marantos & Harald Ossberger, im Mozarthaus Vienna
Erschienen bei Edition Contemp Art (Verlagsgruppe Hermann),
erhältlich über www.schott-music.com
Bestellnummer: VGH 2348-70 (Stimmensatz)
I Sans perspectives
II Dernier espoir
III Hallucinations
Notizen zum Werk:
L’homme sans avenir (Mensch ohne Zukunft, Man without future) entstand auf Wunsch des Klavierduos Harald Ossberger und Christos Marantos. Es ist eine Parallelkomposition zum Posaunenkonzert op. 22k, das zeitgleich entstanden ist. Die vielfältigen Brechungen und Spiegelungen des harmonischen Materials zu diesem Posaunenkonzert, die dort nicht vollständig ausgereizt wurden, finden hier einen intensivierten kompositorischen Ausdruck, verstärkt durch die zugrundeliegende Idee zu diesem Werk.
Ich wollte ein Stück schreiben, das auf die Situation jener Generation reagiert, die von Politik und Gesellschaft vernachlässigt wird, obwohl die Gesellschaft gerade dieser »verlorenen Generation« bedarf: intelligente, gebildete Menschen, für die der Neoliberalismus und -kapitalismus anscheinend keinen Platz hat. Ohne Perspektive und Hoffnung auf ein besseres Leben und auf der Flucht in eine Fantasiewelt – so ergeht es inzwischen Millionen von jungen, kreativen Menschen in den Industrienationen. In die Arbeitslosigkeit gezwungen, sucht diese Generation nach neuem Sinn, neuen Visionen. In einer Zeit der Finanz- und Flüchtlingskrisen sind das »Gegeneinander« und die Desillusionierung allgegenwärtig. Die Folgen von Globalisierung und missglückter Integration wurden als Probleme lange Zeit von den herrschenden Kreisen nicht ernst genommen.
Die oben abgeführten Satztitel mögen einzelne Stationen dieser verlorenen Generation nachzeichnen, auch wenn die Form rein musikalische Entwicklungen darstellt.
Im ersten Satz findet quasi ein »Gegeneinandertreffen« der beiden Spieler statt. Ihre Konfrontationen führen in scheinbar ausweglose Situationen, bis nur noch abgebrochene, vielleicht auch zerbrochene Gedanken zu vernehmen sind. Dennoch erringt die Hoffnungslosigkeit nie die Oberhand, sondern es artikuliert sich Widerstand gegen Zustände, die versuchen, geschaffene Realitäten einzuzementieren und keine neue Entwicklung zuzulassen. Die Suche nach Identität in einer scheinbar freien, insgesamt jedoch ungewissen und gefährdeten Zukunft, die Sehnsucht nach einem besseren Weg, einem Ziel, nach dem es zu streben lohnt: das drückt sich im Stück in einer Anlage aus, die einfachen Lösungen ausweicht, immer wieder in die Irre führt und sich nie zu einer zur Gänze fasslichen Form zusammenschließt. Die Gestalten und Bewegungen erschöpfen sich gleichsam im Widerstreit gegeneinander, wobei scharfe Kontraste und die Wiederkehr scheinbar abgebrauchter Versatzteile in neuem Kontext zu den wirksamsten Mitteln zählen. Dabei spielt insbesondere der Kontrast zwischen pedalisiertem und trockenem Klang eine wichtige Rolle, neben dem Kontrast zwischen Verfestigung und Auflösung, der in allen drei Sätzen seine ganz eigene Ausprägung findet. Im ersten Satz sind die »trocken« (ohne Pedal) zu spielenden Teile fortissimo, die »verschleierten« Stellen (mit andauerndem Pedal) im pianissimo zu spielen.
Im zweiten Satz wird noch so etwas wie eine rudimentäre Melodie zugelassen, die durch das ganze Stück eine große Verästelung erfährt. Sozusagen als »letzte Blume der Romantik«, als Symbol der Hoffnung werden diese Melodiereste tendenziell zur Illusionslosigkeit degradiert und belächelt. Klanglich wird dieses Brechen der Melodie durch das Einschieben eines den Anschlag verzerrenden Seidenpapiers verstärkt.
Den letzten Satz schließlich beherrscht der Rausch als letzte Bastion längst verlorener Zuversicht. Das Vorgaukeln positiver Erlebnisse, Gefühle und Perspektiven wird musikalisch vor allem durch den Einsatz von trillerähnlichen Gebilden und durch das »permanente Pedal«, das sozusagen den halluzinatorischen »status quo« vorgibt, charakterisiert. Dabei verdrängen auch die Pianisten einander vom Platz: »Aufeinanderprallen und Wegschubsen« ist die Devise – wie auch dezente aktionistische Handlungen die Gesamtaussage der Komposition unterstreichen.
Um eventuellen Missverständnissen bei Interpreten und Hörern entgegenzuwirken, verweise ich mit Nachdruck darauf, dass dies keine Musik der Depression ist, sondern eine der aktiven Auflehnung gegen das vermeintlich Unvermeidliche. Die Gesellschaft übt sich darin, Probleme zu ignorieren und blockiert deren Lösung damit, lediglich das Erreichte (für sich selbst) zu bewahren. Wohin dieses Beharren (mit Tendenz zur Erstarrung) bereits geführt hat, zeigen uns die blutigen Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit: Krieg, Bürgerkrieg, Genozid, Revolution und Diktatur.