»Enikő Ginzery gewidmet«

 

I          Wien, 16.7.2020         4'45

II         Wien, 15.7.2024         9'30

III        Wien, 4.8.2024          6'45

IV        Wien, 15.8.2024         6'08

Gesamtdauer: ca. 30'

 

Notizen zum Werk:

Parallel zur Komposition meines zweiten Oratoriums Schwarzer Schnee op. 22q entstanden unter einem an Debussy erinnernden Titel vier Stücke für Cimbalom solo. Geschrieben sind sie für die slowakische Cimbalomvirtuosin Enikő Ginzery, der sie auch gewidmet sind. Erstmals begegnet sind wir uns über die Vermittlung von Péter Eötvös.

Die vier Stücke könnten in Form und Charakter nicht unterschiedlicher sein, obwohl die Verarbeitung dreier eng miteinander verwandter fünfstimmiger Akkorde jeweils ihren Ausgangspunkt bildet.

Wie eine Introduktion hebt das erste Stück an, das sowohl spielerische wie kantable Elemente aufweist. Auffällig ist die häufige Sequenzierung akkordischer und motivischer Elemente, die sich auch auf die restlichen Stücke auswirkt.

Das zweite Stück beginnt wie ein Lied mit Begleitung. Die Melodie wird dabei durch verschieden lange Perioden gestaltet, mit einem harmonischen Spannungsverhältnis zwischen Tritonus, reiner Quarte und Quinte. Dieser harmonisch raffinierte Liedteil wird von lebendigerem musikalischen Material durchbrochen. Der erste der folgenden Abschnitte variiert die Quint-Quart-Intervallik, bei dem musikalisch kühne Fantasien zum Ausdruck kommen: Kontraste zwischen punktierten und überpunktierten Gestalten mit unkonventionellen Tonleitern, fremdartige Akkordzerlegungen und weite Sprünge bestimmen das Geschehen. Ein tonrepetierter, synkopischer Einfall leitet in einen neuen Liedteil über, den man vielleicht als Lied II bezeichnen kann. Er unterscheidet sich von Lied I durch ein anderes Metrum und eine andere Art der begleitenden Melodie. Ein tänzerisches Element im Charakter eines Tangos strebt dann zur Coda, einer Folge tonartfremder Akkordarpeggios.

Diesem ausgedehnten Satz folgt – als dritte Stück – eine Art permanente Kadenz, die viel kleingliedriger ist als die beiden vorangegangenen Sätze (vor allem im Vergleich zum geradezu symphonischen Charakter des zweiten), aber auch viel freier in Erfindung und Ausführung. Kurze Phrasen heben immer wieder aufs Neue an, nur um gleich wieder zu zerfließen und zu entschwinden. Variierte Sequenzen erscheinen dabei als vorantreibendes Moment, initiale Motivzellen werden variiert und immer wieder anders weitergeführt. Aus dem Fluss der Ereignisse verdichten sich neue Motivkerne, so punktierte Rhythmen oder gleichzeitig angeschlagene Quarten, die in drei schwebende oder auch tänzerische Episoden integriert werden. Diese tauchen unvermittelt auf, um genauso plötzlich wieder abzubrechen. Ein Mittel, diese Phrasen zu einem Ende zu bringen, sind repetierende, sich verlangsamende Melodietöne.

Die Vorstellung des Tanzes dominiert das letzte Stück. Zweiteiligkeit des Hauptthemas und Auftaktigkeit, aber auch eine Reminiszenz an die Arbeit mit reinen Intervallen und Tritoni wie in den anderen Sätzen bilden die Grundsubstanz dieses Satzes. Das Grundmetrum ist 2/4, wie eine rumänische Hora und auch andere Tänze aus südosteuropäischen Musikkulturen. Es entwickelt sich ähnlich wie ein Rondo, in dem dieser Tanz durch unorthodoxe Skalenentwicklungen oder Akkordarpeggi durchbrochen wird. Dabei wird das grundlegende 2/4-Muster nur fallweise verlassen, an wenigen Stellen werden 4+4 Sechzehntelnoten zu 5+5 Sechzehntelnoten erweitert, wobei diese Phrase aus 5-stimmigen Akkorden abgeleitet wird, und eine Triolenstelle erhält unterstützend einen ¾-Takt als Rahmen.

Harmonische Intensität und Vielgestaltigkeit kennzeichnen dieses große Solowerk für ein Instrument, dem aufgrund seines ausgeprägten Klangcharakters und seiner ungewöhnlichen Spieltechnik eine ähnliche Entwicklung wie dem Saxophon oder dem Akkordeon im Bereich der klassischen Musik zu wünschen ist.